Zum Inhalt springen

Wohnbau in Igls

Beitrag entnommen von ALPINE SPACE ~ mobility, traffic and spatial development, vielen Dank!

Univ.- Ass. Dipl.-Ing. Stephan Tischler

 

Igls ist ein Ort im südöstlichen Mittelgebirge, ca. 400-500m oberhalb des Inntales bzw. der Tiroler Landeshauptstadt gelegen. Während der NS-Zeit erfolgte gemeinsam mit dem Nachbarort Vill die Eingemeindung in die Stadt Innsbruck. 2014 übernahm die Stadt den Betrieb und die Seilbahnanlagen am Patscherkofel. Für die bald 90 Jahre alte Pendelbahn (Betriebsaufnahme: 14.4.1928), die den Ort Igls über eine Mittelstation direkt mit dem Schutzhaus Patscherkofel verbindet, ist 2016 die nächste behördliche Betriebsüberprüfung erforderlich. Um diese positiv zu bestehen und den Betrieb weiterführen zu können sind Investitionen in die maschinellen Anlagen bzw. Kabinen erforderlich. Der finanzielle Aufwand hierfür wird – je nach Quelle – mit ca. 0,7 – 2 Mio. EUR geschätzt. Anstelle der Sanierung steht auch ein Neubau der Bahn zur Diskussion. Dieser könnte einerseits vom bestehenden Talstationsbereich aus erfolgen und über eine neu zu errichtende Mittelstation sowohl die bestehenden Schipisten als auch die Bob- und Rodelbahn an Igls anbinden, oder in einer künftig gekürzten Streckenführung erst ab der sog. “Römerstraße” auf den Berg führen. Von Igls aus müsste man damit zunächst mit dem Bus oder dem Auto zur neuen Talstation fahren. Ein Vorteil der verkürzten Streckenführung wäre, dass der bislang als Frei- bzw. Sonderfläche gewidmete Bereich rund um die bestehende, denkmalgeschützte Talstation vollständig einer Verbauung zugeführt werden kann. Rund 60.000 – 65.000 m² an Fläche stünden zur Verfügung – rechnet man den Abtrag des noch aus der Eiszeit bestehenden sog. “Kleinen Patscherkofel” mit ein. Darauf ließen sich je nach Baudichte bis zu rund 500-700 WE realisieren, was einer Einwohnerzahl von ca. 1200 – 1500 Personen entspricht. Gegenwärtig sind rund 2300 Einwohner in Igls gemeldet.  Doch welche Gründen sprechen nun für, welche gegen einen Verbauung?

PRO

  • unbestritten ist die hohe Wohnqualität aufgrund der ruhigen Lage, einer guten Besonnung sowie der hohen Luftgüte
  • Basisinfrastruktur wie Bank, Supermarkt, Ärzte, Kindergarten und Volksschule ist im Ort vorhanden
  • Durch die Endhaltestelle der Buslinie J bei der bestehenden Talstation der Patscherkofelbahn ist das Gebiet an den öffentlichen Verkehr angebunden
  • Im Individualverkehr steht mit der A13 Brennerautobahn (Ast. Igls / Patsch) bzw. der A12 Inntalautobahn (Ast. Innsbruck Mitte) eine gute überregionale Anbindung zur Verfügung.
  • Die privaten Grundeigentümer sind an einer Veräußerung ihrer Grundstücke sehr interessiert, sodass die grundsätzliche Verfügbarkeit der Flächengegeben ist.
  • Für die im städtischen Eigentum befindlichen Flächen können bei einem Verkauf an Bauträger (einmalige) Erträge für den angespannten Haushalt der Stadt Innsbruck erzielt werden.
Kleiner Patscherkofel

Kleiner Patscherkofel, Foto Stephan Tischler

CONTRA

  • Igls verfügt gegenwärtig bereits über einen massiven Baulandüberhang. Rund 35-40% der als Bauland gewidmeten Flächen sind in Igls nicht bebaut. Die Gründe hierfür sind unterschiedlich, nicht selten werden Grundstücke als Wertanlage “gehortet” bzw. dienen Spekulationszwecken. Wäre Igls eine selbstständige Gemeinde, dürfte eine Ausweisung von zusätzlichem Wohnbauland – insbesondere in dieser Größenordnung – unter Bezugnahme auf das TROG (“sparsame Verwendung von Grund und Boden”) nicht erfolgen. Nur die Umlegung der Igler Baulandbilanz auf das gesamte Stadtgebiet von Innsbruck ermöglicht eine solche Neuausweisung.
  • In kaum einem anderen Innsbrucker Stadtteil sind die Immobilienpreisederart hoch wie in Igls. Das seitens der Politik oftmals propagierte “leistbare Wohnen” (“sozialer Wohnbau”) wäre nur dann machbar, wenn die öffentliche Hand den Wohnbau massiv finanziell stützt. Gegenwärtig liegen die erzielbaren Quadratmeterpreise in dieser Lage bei ca. 1000 EUR/m².
  • Aufgrund der hohen Immobilienpreise sind Neubauprojekte in Igls derzeit nur schwer verkaufbar. Wenn Wohnraum geschaffen wird, ist ein Verkauf in erster Linie als “Anlageobjekt” realisierbar. Derartige Liegenschaften werden jedoch nur in seltensten Fällen tatsächlich von deren Besitzern bewohnt bzw. vermietet, sondern stehen leer. Gerade diese “Anlageobjekte” sind jedoch in Fachkreisen unbestritten als Preistreiber für den gesamten Immobilienmarkt bekannt. Insbesondere Investoren aus dem Ausland nutzen diese bis dato legale Möglichkeit, um Geld in inländischen Immobilien aktuell noch gewinnbringend zu “parken”.

Sollte es dennoch gelingen, für alle Wohnungen tatsächliche BewohnerInnen und nicht nur BesitzerInnen zu finden sind weitere Problempunkte zu lösen:

  • Die bestehenden sozialen Infrastruktureinrichtungen wie Kindergarten und Volksschule sind einer fast Verdoppelung der Bevölkerung nicht gewachsen und müssten massiv ausgebaut werden.
  • Weitere Einrichtung zur Daseinsgrundvorsorge sind in Igls anzusiedeln bzw. zu ergänzen (Kassenärzte, Einzelhandel, Post etc.). Allein die mehrmalige Kündigung des Postpartner in Igls in den letzten Jahren zeigt die angespannte Situation, derartige Einrichtungen außerhalb der Kernstadt dauerhaft zu halten.
  • Die bestehende Buslinie J ist bereits jetzt insbesondere in der Früh- und Nachmittagsspitze trotz Intervallverdichtung 2014 – sehr gut ausgelastet, in der Schulzeit regelmäßig auch überlastet. Ein Anstieg der Bevölkerung im beschriebenen Ausmaß würde eine weitere Intervallverdichtung erfordern, da der Einsatz größerer Fahrzeuge (Gelenksbusse) aufgrund der hohen Längsneigung der Igler Straße nicht möglich ist. Der bereits jetzt sehr aufwändige Betrieb der Buslinie – insbesondere im Winter müssen für die Busse oft Schneeketten verwendet werden, zudem höherer Spritverbrauch und Wartungsarbeiten aufgrund des bei jeder Fahrt zu überwindenden Höhenunterschiedes – wird zu annähernd doppelt so hohen jährlichen Betriebsaufwänden für die IVB für diese Buslinie führen.
  • Neben den stark steigenden Fahrgastzahlen im öffentlichen Verkehr ist auch mit einer erheblichen Zunahme der PKW-Fahrten zu rechnen. Die Igler Straße ist in ihrem gesamten Abschnitt zwischen Vill und dem Kreisverkehr bei der Ast. Innsbruck Mitte durch beengte Platzverhältnisse, enge Kurvenradien und eine hohe Längsneigung gekennzeichnet. Ein Ausbau der Straße ist aufgrund der schlechten Geologie (Rutschhänge erfordern bereits jetzt jährlich hohe finanzielle Aufwände für die bauliche Instandhaltung) teuer und mit großen Eingriffen in das Landschaftsbild verbunden. Ungelöst bliebe trotz Ausbau jedoch der prognostizierte Rückstau am Kreisverkehr in Innsbruck.
  • Die Erschließung der Grundstücke erfordert eine neue Zufahrt von der Patscher Straße vorbei am Congress Igls. Der Congresspark wäre damit vom dahinterliegenden Waldbereich Richtung Heiligwasser abgeschnitten und in seiner Attraktivität beeinträchtigt.
  • Im Fall einer massiven Erhöhung der Einwohnerzahlen in Igls sind erhebliche Investitionen in die technische Infrastruktur erforderlich – insbesondere im Bereich der Abwasserentsorgung sowie der Wasserversorgung, aber auch des Stromnetzes. Diese beschränken sich nicht auf das Herstellen der notwendigen Hausanschlüsse. So ist im Bereich der Abwasserentsorgung ein neuer Hauptsammelkanal nach Innsbruck hinunter herzustellen, um die zusätzlichen Abwassermengen in die Kläranlage in Rossau einleiten zu können.
  • Der Bereich um die bestehende Talstation der Patscherkofelbahn bietet dem Erholungssuchenden seit jeher ein einmaliges landschaftliches Panoramaund markiert als solcher den Beginn einer gut frequentierten Erholungsachse von Igls bis zum Walfahrtsort Heiligwasser.
  • Neben der Talstation findet sich der sogenannte “Kaserer Gletscher” mit einem Übungslift. Die Lage und Exposition der Schiwiese erlaubt trotz häufiger Föhnlagen einen langen Schibetrieb. Selbst bei eingestelltem Betrieb wird die Wiese von vielen SchianfängerInnen, Rodlern etc. genutzt. Viele InnsbruckerInnen standen hier auch zum ersten Mal auf Schiern. In vielen Wintersportorten weltweit ist die Tendenz zum “urban skiing” wieder verstärkt wahrzunehmen – Schipisten und Liftanlagen werden unmittelbar bis zum gebauten Gebiet herangeführt. Das die Schiwiese auch heute noch funktioniert ist durch dieses Video eindrucksvoll belegt: Skiwiese Kaserer und Pendelbahn
  • Die Stadt Innsbruck hat mit dem Energieentwicklungsleitbild einen Leitfaden erstellt, der u.a. Kriterien zur künftigen Neuausweisung von Wohnbaugebieten enthält. Neben der “Stadt der kurzen Wege” wird darin auch ein niedriger Heizbedarf als Voraussetzung angesehen. Dieser kann einerseits durch entsprechende bauliche Ausgestaltung erfolgen, andererseits aber auch die Lage des Bauplatzes. Aufgrund der Höhenlage liegen die Durchschnittstemperaturen im Mittelgebirge ca. 3,5 Grad unter jenen im Inntal. Zu den nordseitigen Sonnenhängen ist die Temperaturdifferenz noch größer. Wohnen in Igls erfordert somit selbst bei optimaler Ausrichtung mehr Heizenergiebedarf als ein vergleichbarer Standort im Talboden bzw. deutlich mehr als einer auf den Sonnenhängen im Norden Innsbrucks. Hinsichtlich des Energiebedarfes ist zudem der erhöhte Mobilitätsaufwand mitzuberücksichtigen, sodass unter diesem Gesichtspunkt Igls als der ungünstigste Standort für Wohnen im gesamten Stadtgebiet von Innsbruck anzusehen ist.
  • Eine “Stadt der kurzen Wege” ist ein oft propagiertes Leitziel des Stadtentwicklungsplanes, aber auch Strategiepläne zur Tiroler Raumordnung. Kurze Wege erfordern aber kurze – im Idealfall fußläufige – Distanzen zwischen dem Wohnstandort und den Gelegenheiten im Rahmen von täglichen Aktivitäten. Die bis in die 70er Jahre praktizierte Schaffung von monofunktionalen (Wohn)Räumen fernab der Kernstadt widerspricht dieser Zielsetzung und ist heute fachlich nicht mehr zu begründen.
  • Die Hochblüte des Tourismus in Igls ist seit der Jahrundertwende bzw. der Nachkriegszeit vorüber. In den letzten Jahren konnte jedoch eine Beschleunigung der Entwicklung festgestellt werden. Der Charakter eines sich zu einer x-beliebigen “Vorstadtwohnsiedlung” wandelnden Ortes ist nicht geeignet, Gäste zum Urlaub in einer solchen Region anzuregen. Mit dem Verlust der direkten Anbindung des Ortes an den Erholungsraum Patscherkofel bzw. das Schigebiet, der verloren gegangenen Grün- und Erholungsachse zwischen Igls – Olympiaexpress und Heiligwasser sowie der massiven Ausweitung der Verbauung ist für den künftigen Tourismus in Igls keine Grundlage mehr vorhanden.
  • Innerhalb des von der Wohnbebauung betroffenen Areals liegt der “Kleine Patscherkofel“, ein Relikt aus der Zeit des Inntalgletschers. Dieser Hügel prägt seit Jahrhunderten das lokale Landschaftsbild und ist als solcher auch identitätsstiftend für den gesamten Bereich. Dies äußerte sich nicht zuletzt in der Benennung dieses landschaftsstrukturellen Elements durch die lokale Bevölkerung. Ein Abtrag bzw. einer Überbauung wäre ein schwerwiegender und unwiderbringlicher Eingriff in das Landschaftsbild und damit auch Widerspruch zu §1 (“Schutz der Eigenart und Vielfalt der Tiroler Landschaft”) des Tiroler Naturschutzgesetz 2005.
  • Igls verfügt als einer der wenigen Stadtteile in Innsbruck aufgrund seiner Größe, vor allem aber auch stetig, jedoch nicht plötzlich gewachsenen Einwohnerzahl, über ein aktives Vereinsleben und Dorfleben. Ein Anstieg der Bevölkerung um fast das Doppelte würde diese Struktur stark gefährden und könnte auch mittel- bis langfristig viele traditionelle Veranstaltungen und Einrichtungen in ihrem Bestand gefährden.

Wohnbau – egal ob leistbar oder nicht – ist damit an genau dieser Stelle für Igls – aber auch Innsbruck sowie die Region südöstliches Mittelgebirge – aus einer Vielzahl an Gründen abzulehnen und widerspricht stadtplanerischen Zielsetzungen der Stadt Innsbruck wie auch raumordnerischen Grundsätzen des Landes.

Was also tun?

Allein die grundsätzliche Baulandeignung darf nicht ausschlaggebend für die Verbauung von seit Jahrhunderten bestehenden Freiflächen sein. Auch wenn die Freiflächen durch die Besitzverhältnisse und auch die Geländeverhältnisse für eine Verbauung geeignet sind müssen für eine potentielle Verbauung auch weitere Kriterien herangezogen werden, die einen derart langfristigen und in der Realität unumkehrbaren Schritt rechtfertigen. Wohnbau in Igls muss schrittweise an Standorten durchgeführt werden, die die Multifunktionalität des Ortes wieder stärker betonen und mit bestehenden sozialen und räumlichen Strukturen in Einklang zu bringen sind. Igls bietet ideale Voraussetzungen, um Aktivitäten wie Wohnen, Freizeit & Erholung, Wirtschaft (Tourismus), aber auch Land- und Forstwirtschaft nebeneinander auszuüben. Es wurde an dieser Stelle bewusst nicht näher auf die Frage nach der Lage der Talstation eingegangen, die Anbindung des Ortes zum bestehenden Erholungs- und Schigebiet Patscherkofel ist jedoch Voraussetzung für eine künftig wieder verstärkt multifunktionale Entwicklung des Ortes. Ideen für die Nutzung des Areals im Rahmen von Freizeit- und Erholungsaktivitäten, aber auch für kulturelle und soziale Einrichtungen gibt es viele (vgl. Sportspange, Jugendzentrum etc.). Sie müssen auch unter Einbindung der lokalen Bevölkerung konkretisiert und im Zuge der Fortschreibung des örtlichen Raumordnungskonzeptes verankert werden.

[quote]Eine Verbauung des Areals ist die denkbar simpelste, gleichzeitig aber auch kurzsichtigste und konfliktbehaftetste aller möglichen Nutzungsvarianten, die jegliche spätere alternative Nutzung auf immer verunmöglicht.